Das letzte Stündlein hat noch nicht geschlagen

100 Jahre hängen die vier Glocken aus dem eher minderwertigen Material „Eisenhartguss“ im Turm der Pfarrkirche. Damit sei ihre mittlere Lebensdauer erreicht, sagt eine Expertin
   

Seit genau 100 Jahren hängen vier Glocken aus Eisenhartguss im Turm der katholischen Pfarrkirche Schierling. Ihr Klang ist unverkennbar und im Sommer 1953 waren sie anlässlich der Tausendjahrfeier Schierlings sogar beim „Zwölf-Uhr-Läuten“ des Bayerischen Rundfunks im Radio zu hören. Doch zu ihrem Jubiläum gibt es einen Wehrmutstropfen. Denn erfahrungsgemäß haben die Glocken aus Eisenhartguss eine mittlere Lebensdauer von 100 Jahren, ganz im Gegensatz zu Bronzeglocken, die oft mehrere hundert Jahre halten aber auch deutlich mehr kosten.

Ursprünglich war der Kirchturm mit Glocken aus Bronze bestückt. Doch im September 1918, kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges, mussten diese abgegeben werden. Die deutsche Rüstungsindustrie war von Anfang an auf die Rohstoffe angewiesen, die in der Bevölkerung und in Kirchen sowie öffentlichen Gebäuden vorhanden waren. Unter dem Motto „Gold gab ich für Eisen“ wurde schon ab 1914 eine Sammelaktion angestoßen, mit der die Deutschen zur Spende kriegswichtiger Materialien aufgerufen wurden.

   

Siegfried Gascher (links) war 1997/98 Mitglied der Kirchenverwaltung, als der Glockenstuhl der Pfarrkirche Schierling erneuert wurde.

   

„Gold gab ich für Eisen“
In den ersten Jahren war es vor allem Schmuck, der in patriotischem Überschwang in den Sammelstellen abgegeben wurde. Zum Dank gab es Ringe aus Eisen, denen das Motto eingraviert worden war. Ab 1916 folgten verstärkt Haushaltsgegenstände wie Zinnkrüge und Messingpfannen. Doch je länger die Materialschlachten des Ersten Weltkriegs andauerten und die britische Blockade Wirkung zeigte, desto stärker gierte die Rüstungsindustrie nach den knapper werdenden Rohstoffen. Schließlich ordnete das Berliner Kriegsministerium im Frühjahr 1917 an, Metall zwangsweise einzuziehen. Im Laufe der Aktion wurde rund die Hälfte aller deutschen Kirchenglocken aus den Türmen abgehängt und eingeschmolzen.

Aus Glocken wurde Munition
Anders als etwa zur Zeit Napoleons wurden die Glocken nicht zu Kanonen und Geschützen umgeschmolzen, sondern zu Munition. Die Kirchen zeigten sich obrigkeitshörig und kooperativ. Doch ist auch überliefert, dass sich manche Gemeinden aber beschwerten und angaben, ihre Glocken seien so groß, dass die Turmwand zertrümmert werden müsste, um sie abzuliefern. Um den Ärger unter der Bevölkerung nicht zu schüren, waren sich Kirche und Staat weitgehend einig, dass Veröffentlichungen in Zeitungen oder Amtsblättern zu dem Thema unterbleiben sollten. Auch in Schierling ist jedenfalls ein Protest nicht schriftlich überliefert.

   

Die seit genau 100 Jahren im Turm hängenden Glocken aus Eisenhartguss weisen deutliche Spuren von Korrosion und Rost auf.

   

Nur geringe Entschädigung
Richard Rohrer schreibt in seiner Chronik, dass am 8. März 1918 – ein halbes Jahr vor Kriegsende – die acht Zentner schwere „Marienglocke“ von St. Nikola abgenommen wurde, drei Tage später die drittgrößte Glocke der Pfarrkirche, ebenfalls acht Zentner schwer. Wann die anderen folgten ist nicht dokumentiert worden. Für abzuliefernde Glocken wurde eine Entschädigung („Übernahmepreis“) gezahlt, und zwar für Glocken über 665 kg 2 Mark pro kg zuzüglich 1.000 Mark Grundgebühr und für Glocken unter 665 kg 3,50 Mark pro kg, ohne zusätzliche Grundgebühr.

Die Gemeinde wünschte Glocken
Das Fehlen des Glockengeläuts traf auch die Seelen und die Sicherheit der Schierlinger. Ende des Jahres 1920 wandte sich der Gemeinderat mit einem Gesuch an das Pfarramt, „sich dahingehend zu verwenden, daß wieder ein vollständiges Geläute beschafft wird“. Pfarrer Mühlbauer legte dem Gemeinderat zu dessen Sitzung am 16. April 1921 einen Vorschlag zur Beschaffung vor, „… und zwar mit Geläute von 4 Glocken mit zusammen 60 Zentnern von der Firma Ulrich Apolda.“ Der Gemeinderat genehmigte das, so dass schon gut zwei Wochen später „Stahlgussglocken“ in der Abstimmung „b mit ca. 1.500 kg“, „gis mit ca. 750 kg“, „h mit ca. 450 kg“ und „cis mit ca. 300 kg“ am Schierlinger Bahnhof eintrafen.

   

Die Aufhängung der größten Glocke wurde bei der letzten Renovierung gedreht, um sie länger haltbar zu machen.

   

Wohl Glocken „von der Stange“
Die kurze Zeitspanne zwischen Zustimmung und Auslieferung ist wohl damit zu erklären, dass die neuen Schierlinger Glocken „von der Stange“ kamen, also nicht speziell für die Pfarrkirche gemacht wurden. Dafür spricht, dass die größte das Jahr „1920“ trägt, während die anderen mit „1921“ gekennzeichnet sind, ansonsten aber keine Widmung tragen. Man hatte sich in Schierling – und auch in manch anderen Orten in gleicher Lage – in jeder Hinsicht für die damals kostengünstigste Variante entschieden. Bronze jedenfalls wäre zu teuer gewesen.

Eisenhartguss – kein Stahl
Die sogenannten „Stahlklangglocken“ hatten allerdings mit „Stahl“ nichts zu tun, wie jüngst die 88-jährige Margarete Schilling in einer E-Mail nach Schierling schrieb. Die Witwe des Glockengießermeisters Peter Schilling aus Apolda – der Glockenstadt Deutschlands – gilt unter Fachleuten als „Grande Dame“ der Glocken über Deutschland hinaus. Wörtlich schreibt sie weiter: „Die Glockengießerei Ulrich & Weule in Apolda/Bockenem im Harz hat nach dem Ersten Weltkrieg Glocken aus einer Eisenlegierung ausgeliefert mit der Benennung ‚Klangstahlglocken‘. In Wirklichkeit war der Werkstoff kein Stahl, sondern eine Eisenlegierung mit der offiziellen Bezeichnung Eisenhartguss. Der Kohlenstoffgehalt war viel zu hoch für ‚Stahl‘. Infolge der großen Härte schien ursprünglich die Legierung auch für Glocken gut geeignet. Jedoch stellte sich später heraus, dass die Legierung von innen heraus im Laufe der Zeit korrodiert.“ Die Schierlinger Glocken sind in Bockenem im Harz – in Niedersachsen – hergestellt worden.

   

Der Turm der Pfarrkirche Schierling grüßt weit in das Labertal hinein.

   

Metallspenden im Zweiten Weltkrieg
Auch im Zweiten Weltkrieg mussten Glocken abgeliefert werden. Generalfeldmarschall Hermann Göring rief am 27. März 1940 zu Metallspenden auf und begründet dies mit dem bevorstehenden Führergeburtstag. Angesprochen waren nicht nur Privatleute, sondern auch Kommunen, Firmen, Vereine und Kirchengemeinden. Von Vereinen wurde erwartet, dass sie z. B. Pokale, Fahnenspitzen und andere Metallobjekte der Vereinstradition ablieferten, auch – zumindest ältere – Blasinstrumente von Spielmannszügen blieben mit Fortdauer des Krieges nicht verschont. Den Höhepunkt der Metallsammlungen der Nazis bildete die reichsweite Erfassung und Demontage von bronzenen Kirchenglocken, von denen 90.000 im Deutschen Reich und den besetzten Gebieten beschlagnahmt wurden. Wegen des vergleichsweise minderwertigen Materials konnten die Schierlinger Glocken an ihrem Platz im Kirchturm bleiben. Die Billigvariante hatte sich hier ausgezahlt.

Begrenzte Lebensdauer
Doch jetzt droht diesen Glocken möglicherweise doch Ungemach. Denn die Glockenexpertin Margarete Schilling schrieb weiter: „Hartgussglocken haben daher nur eine mittlere Lebensdauer von etwa 100 Jahren, wogegen Bronzeglocken über Jahrhunderte hinweg im Idealfall genutzt werden können.“ Andere Autoren sprechen von 70 bis 100 Jahren, und deshalb wurden insbesondere in den 1990er Jahren Eisenhartgussglocken vielfach abgebaut. Auch aktuell erfolgt das Auswechseln, wie etwa in Salm/Vulkaneifel im Jahre 2011 und Ebersberg im Jahre 2012. Man würde es merken, wenn die Glocken zu schwächeln begännen, denn dann würden sie zunehmend „scheppern“, sagte am Telefon eine Expertin des Glockenmuseums Apolda. Doch auch für die älteren Schierlinger klingen sie immer gleich. Pfarrer Josef Helm beunruhigt das aktuell noch nicht, denn die Glocken werden aufgrund eines Wartungsvertrages jährlich von Fachleuten begutachtet.

   

Glocken im Turm der Schierlinger Pfarrkirche.

   

Weitblick 1997/98
Der Glockenstuhl war ohnehin bei der letzten großen Kirchenrenovierung 1997/98 erneuert worden. Gleichzeitig war die größte Glocke gedreht worden, so dass der Klöppel jetzt nicht mehr dort anschlägt, wo er in knapp 75 Jahren deutliche Spuren hinterlassen hat. Insgesamt sind an den Glocken im Schierlinger Kirchturm die Folgen von Korrosion und Rost deutlich zu sehen. Man wird wachsam sein müssen und möglicherweise auch Sachverständige zu Rate ziehen, um sich der beständigen Sicherheit zu vergewissern.

Gebet und Sicherheit
Die Einführung der Glocken ins Christentum soll im 4. und 5. Jahrhundert stattgefunden haben. Das Läuten als Ruf zum Gottesdienst und zum Gebet wurde aber erst im Laufe des 5. und 6. Jahrhunderts bekannt und fand im 8. Jahrhundert durch irische Wandermönche eine weitreichendere Verbreitung. Spätestens seit Papst Stephan IV. im 8. Jahrhundert sind sie im kirchlichen Bereich fest verankert. Bis 1951 wurden in Schierling die Glocken zur Alarmierung bei einem Brandfall eingesetzt. Das erklärt wohl auch das gesteigerte Interesse der Gemeinde daran, dass nach dem Ersten Weltkrieg wieder zeitnah ein Geläute installiert wurde.

   

Beschriftung auf einer der Glocken.

   

Siegfried und Martin Gascher.

   


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Text und Fotos: Fritz Wallner

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