Der Gelübdetag bleibt

Das Gedenken zur Errettung aus Kriegsnot wird fortgeführt, nicht aber das Gelübde selbst
   

Es zeichnet sich ab, dass das Gedenken an Schierlings Errettung aus Kriegsnot Ende April 1945 fortgeführt wird, nicht jedoch das Gelübde selbst. Der Gottesdienst ist künftig nicht mehr am 1. Mai.

 
Gedenkstein von 1995  

„Wer denkt, der dankt – wer dankt, der denkt!“, hieß es im Jahre 1995 bei der Verlängerung des Gelübdes zur Errettung aus Kriegsnot. Die damals auf 25 Jahre befristete Verlängerung ist abgelaufen und nach einer Zusammenkunft von Bürgermeister Christian Kiendl mit Vertretern des Marktgemeinderates sowie der Bürgerschaft zeichnet sich ab, dass der „Gelübdetag“ auch in Zukunft erhalten bleibt, auch wenn das Gelübde nicht ausdrücklich verlängert werden wird.

Darauf, dass die Erinnerung und das Gedenken an die große Gefahr von Ende April 1945 nicht enden darf, hatte sich der Marktgemeinderat bereits bei der Sitzung am 23. April 2020 einstimmig ausgesprochen. Die künftige konkrete Ausgestaltung sollte breit diskutiert werden. Dazu hatte Bürgermeister Christian Kiendl in die Mehrzweckhalle eingeladen.

Die Menschen in Schierling hatten Ende April 1945 Angst, sehr große Angst. Das belegen aktuelle Erzählungen noch lebender Zeitzeugen ebenso wie archivierte Tonaufnahmen. Denn in der nahegelegenen Luftmunitionsanstalt der Nazis waren rund 6.000 Tonnen Giftkampfstoffe gelagert. Und aus Flugzeugen fielen bereits Bomben. Die aktuelle Diskussion in der Mehrzweckhalle wurde sehr intensiv geführt und reichte von einer Zweiteilung von kirchlichem und weltlichem Gedenken bis zur Abkehr vom 1. Mai als Gelübdetag.

Festtag und Gottesdienst
Das ursprüngliche Gelübde, das die politische Gemeinde und die damalige katholische Gemeinde gemeinsam gemacht hatten, ist in der historischen Predigt von Pfarrer Laubmeier vom April 1946 so festgehalten: „Am 3. März 1946 haben Kirchenverwaltung, Gemeinderat, die Consultoren der Bruderschaft und alle, die in der Kirche nach dem Gottesdienst anwesend waren, einmütig bestimmt: Wir erfüllen unser Versprechen und Gelöbnis in der Weise, dass wir 50 Jahre lang am 27. April einen Feiertag halten, einen festlichen Gottesdienst mit Opfergang halten. In Zweifelsfällen oder Schwierigkeiten möge der hochwürdigste Herr Bischof entscheiden. Wir feiern heute diesen Gottesdienst. Wir rühmen uns nicht, dass wir besser sind als andere. Wir wagen auch nicht zu sagen, dass wir den Schutz Gottes mehr verdient haben als andere, die der Zerstörung des Krieges zum Opfer gefallen sind.“

   

Immer wieder war seit 1995 ökumenisch gedankt worden, und während der Prozession zum Gedenkstein, hielt der Zug einige Jahre an verschiedenen Stationen mit einer besonderen Bewusstseinsbildung für den Frieden.

   

Voreiligem Vergessen vorbeugen
Mit der Entwicklung Schierlings weg vom fast ausschließlich landwirtschaftlich geprägten Ort war man schon früh vom 27. April weggekommen und auf den 1. Mai gewechselt. 1995 wurde die Erinnerung an die schwere Zeit noch einmal besonders herausgestellt. Auf Antrag des Pfarrgemeinderates verlängerten politische Gemeinde und Pfarrgemeinde das Gelübde um vorerst 25 Jahre. In der Mehrzweckhalle führte aus diesem Anlass der Kirchenchor das „Te Deum“, den großen Lobgesang, im Rahmen einer beeindruckenden Veranstaltung mit rund 600 Gästen auf, um einem voreiligen Vergessen vorzubeugen und die Dankbarkeit nicht enden zu lassen, wie es damals hieß. Außerdem wurde als äußeres Zeichen in der damaligen geografischen Mitte des Ortes ein neuer Gedenkstein gesetzt und durch den damaligen Regensburger Bischof Manfred Müller gesegnet.

   

   

„Das Mahnmal soll aber auch erinnern an die vielen Opfer, die der vernichtende Krieg gefordert hat. Und es erinnert daran, dass auch die einheimische Bevölkerung Not leiden musste und zu Arbeiten beim Abtransport der Giftkampfstoffe herangezogen wurde. Weiter steht es für die vielen Flüchtlinge und Vertriebenen, die vor fünfzig Jahren nach Schierling kamen und da eine neue Heimat fanden“, heißt es in der Begründung für den Gedenkstein. 1995 ließen Kinder Friedens-Luftballons steigen, und seitdem bewegte sich jährlich nach dem Gelübdegottesdienst eine Prozession von der Kirche zum Gedenkstein. Einige Jahre war sogar an verschiedenen Stationen Halt gemacht worden, um – im ökumenischen Geist – bewusst zu machen, wie wichtig der Friede zu jeder Zeit ist.

   

Das Plakat von Erich Gohl ist der Hinweis darauf, welches Schicksal Schierling und einer weiten Umgebung zum Ende des Zweiten Weltkrieges erspart blieb.

   

Keine Prozession mehr
Die Zeiten ändern sich, und so wurde jüngst in der Mehrzweckhalle vorgetragen, der jährliche Prozessionsweg sei zu beschwerlich. Man wird wohl künftig darauf verzichten. Eine Verlängerung des Gelübdes sei nicht angesagt, denn das Gelübde sei erfüllt. Mit Tafeln soll auf die schwierige Zeit aufmerksam gemacht werden, und die Schule sei gefordert, hieß es. Der Gelübdetag wird künftig nicht am 1. Mai, sondern wohl jeweils am letzten Samstag im April begangen. Der Dankgottesdienst soll bleiben und wird ökumenisch gestaltet werden, denn gerade nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges sind auch viele evangelische Christen nach Schierling gekommen.

Einerseits wurde ein weltliches Gedenken im mehrjährigen Turnus angeregt, und andererseits festgestellt, dass es Aufgabe der jetzigen Generation sei, das Gedenken wach zu halten und es nicht auseinander zu klauben, sondern es als Christ und Bürger zu sehen. „Es geht weiterhin um das Danken und das Gedenken“, freute sich Bürgermeister Christian Kiendl über die Einmütigkeit, und er konnte dem Aufstellen einer Gedenktafel sowie von Patenschaften der Schule viel abgewinnen. Außerdem hielt er es für wichtig, die öffentlichkeitsarbeit zu forcieren, damit dieses schwere Kapitel in Schierlings Geschichte nicht vergessen wird.

   

Gelübdetag 2015

   

Zeitzeugen
Der Radiojournalist Ulrich Böken vom Bayerischen Rundfunk hat im Jahre 1988 eine umfangreiche Sendung über die Erinnerungen an Schierlings schwere Zeit Ende April 1945 unter dem Titel „Das Wunder von Schierling“ gemacht. Danach war der 23. April 1945 einer der furchterregenden Tage für Schierling.

Der spätere Gemeinderat Ludwig Häring war nach einer schweren Verwundung an der Westfront von den Engländern ausgetauscht worden und deshalb schon daheim. Er ist im Radiobericht so zu hören: „Bei einem Überflug zweier feindlicher Jäger schoss Muna-Flak auf die Flugzeuge. Eine halbe Stunde später griffen acht feindliche Jäger zum ersten Mal unser Dorf Schierling an. Eine Waggon-Flak am Bahnhof und der Stadel von Meierhofer gingen in Flammen auf. Am 25. April früh, während des Früh-Bittgottesdienstes zum Markustag, erster Angriff auf die Muna, 10 Uhr zweiter Angriff, vier Uhr nachmittags dritter Angriff.“

Häring beobachtete die Aktivitäten von Bürgermeister und honorigen Bürgern, sowie dem Pfarrer bei Beratungen, denn sein Heimathaus liegt gegenüber dem Rathaus, kommentierte Böken. Sie waren sich einig, dass alles getan werden müsse, damit Schierling kein Kriegsgebiet werden würde. Die Schierlinger hatten nämlich schon mitbekommen, was mit Berching und Neumarkt geschehen war, nachdem Truppen der zurückweichenden Front auf Flugzeuge der Amerikaner geschossen hatten.

   

   

„Die Amerikaner schickten mehrere Bomber, die Orte wurde dem Erdboden gleich gemacht, hunderte Menschen starben“, ergänzte Böken. Die Schierlinger wussten auch, dass ihnen ein sehr schlimmes Inferno bevorstünde, sollte die Muna bombardiert werden. Die Kirche war in diesen Tagen für viele ein Zufluchtsort, so Häring. Schon beim Gottesdienst am 2. April 1945 hatte Pfarrer Franz Xaver Laubmeier den Gedanken für ein Gelübde eingebracht. Die 55-minütige Sendung von Ulrich Böken „Das Wunder von Schierling oder: Wir werden 50 Jahre beten“ aus dem Jahre 1988 ist als Zeitdokument HIER von der Homepage des Marktes Schierling herunterzuladen.

Hoffnung auf dauerhafte Rettung
Schierlings katholischer Pfarrer Josef Helm stellte bei der Predigt am Gelübdetag 2020 die aktuelle Bedeutung eines Gelübdes so heraus: „Die Menschen hatten dafür, dass nur Gott dauerhaft retten kann, in der Not ein Bauchgefühl: Deshalb die Pestwallfahrt nach Hausen, deshalb das Gelübde, das wir heute vollenden. Dieses Bauchgefühl ist mittlerweile ziemlich tief unter allem möglichen Krempel und Allmachts- und Selbstbestimmungsphantasien zugestellt, überlagert und verschüttet. Heute wenden sich die Großen in der Not in Unmengen von Videokonferenz, Presserklärungen, Livestream usw. an Menschen – an Gott wendet sich heute öffentlich eher niemand. Das Gelübde und die Corona-Pandemie laden geradezu ein, diese Hoffnung auf dauerhafte Rettung durch Gott wieder ein wenig freizuschaufeln, damit wir nicht – zwar wohlstandsverbrämt und -gebremst aber schließlich unweigerlich – in Verzweiflung enden.“

Äußeres Zeichen einer inneren Haltung
Der evangelische Pfarrer Uwe Biedermann sagte am 1. Mai 2017 am Gedenkstein: „Alle Schierlinger gerieten in größte Gefahr dadurch, dass sie den falschen Hirten gefolgt waren. Wenn die Muna aus der Luft angegriffen würde – so Pfarrer Laubmeier, ‚dann wird das nicht bloß Zerstörung, sondern Tod und Vernichtung bringen durch das Gas, gegen das Mensch und Vieh, Haus und Feld wehrlos sind.‘ Wehrlos? Was tun in der größten Not? Die Schierlinger Gemeindeglieder reagierten in zweifacher Richtung. Zum einen: Raus aus der Schafsrolle! Nicht blind den falschen Hirten folgen oder sie gewähren lassen. Nicht in der Herde aufgehen, sondern der Hoffnung Raum geben. Das verlangt Mut. Es braucht Mut zur Hoffnung! Sich zu erschöpfen in Ohnmachtsgefühlen, dazu braucht man keinen Mut. (...) Und das zweite war vielleicht noch wichtiger. Natürlich kann man auch skeptisch über das damalige Gelübde urteilen. Denn es klingt ja zunächst nach einem Deal, den man Gott anbietet: ‚Rettest du uns aus der Not, so werden wir dir dankbar sein. Festlicher Dankgottesdienst plus Opfergang. Zumindest 50 Jahre lang.‘ Für meine protestantische Seele ist solches Zweckdenken ein wenig irritierend. Aber sei's drum. Das ist schließlich nicht die eigentliche Pointe des damaligen Versprechens. Sondern das Gelübde war das äußere Zeichen einer inneren Herzenshaltung. Das Gelübde machte das Gebet für die Gemeinschaft erst sichtbar. In der Tat ist das Gebet die Stelle, an der man weiter springt, als man eigentlich springen kann.“

Forschung
Zum Kriegsende im Raum Regensburg, zu dem auch Schierling gehört, hatten Rainer Ehm und Roman Smolorz an der Universität Regensburg im Auftrag der Stadt Regensburg weiter geforscht und die Ergebnisse 2019 in einem im Verlag Friedrich Pustet erschienenen Buch „April 1945 – Das Kriegsende im Raum Regensburg“ veröffentlicht. Mehr Informationen zum Buch gibt's HIER.

   
   

Vorschläge für die Erfüllung des Gelübdes.

   

   

Aufstellung des Gedenksteins.

   

   

Segnung des Gedenksteins.

   
   




>> Weitere Informationen und Fotos rund um das Gelübde <<

>> Radiosendung vom 06.11.1988 „Das Wunder von Schierling“ <<

>> Informationen zum Buch „Kriegsende im Raum Regensburg“ <<




   

   


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Text und Fotos: Fritz Wallner

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