Dornenkrone als Zeichen von Spott und Hohn

Überlegungen zum Karfreitag: Auch heute gibt es Formen der Geringschätzung und Verhöhnung
   

Wenn am Karfreitag um 15 Uhr nicht nur in der Schierlinger Pfarrkirche des Leidensweges Jesu Christi gedacht wird, dann wird bei der Leidensgeschichte nach Johannes berichtet, dass Jesus nach der Verurteilung eine Dornenkrone aufgesetzt bekam. Eine Krone, die damals wie heute als ein Zeichen für Würde und Macht gilt, wurde aus Dornen geflochten und damit ins Gegenteil seiner Bedeutung verkehrt. Sie wurde eingesetzt für die Erniedrigung, Verachtung und Entwürdigung, für Spott, Hohn und Folter.

   

In der altbayerischen bäuerlichen Kunst ist in alter Zeit Christus am Kreuz mit einer Dornenkrone aus einem echten Zweig.

   

Die Dornenkrone wird zum Vorgriff auf das, was das Kreuz als Skandal, als Demütigung und als grausame Hinrichtungsart bedeutet. Verhöhnen, verächtlich machen, kleinreden, sich über andere lustig machen, tratschen, Gerüchte verbreiten: das sind auch heute noch beliebte Formen der Geringschätzung und Verhöhnung. Dahinter stecken oft der Neid, sowie eine Sehnsucht und der Ruf nach Beachtung und Anerkennung. Um andere klein zu machen, ist manchen Menschen kein Mittel zu schlecht, keine Anschuldigung zu groß und kein Gerücht zu stark, um es nicht anzuwenden. Dabei ist noch niemand dadurch groß oder bedeutend geworden, dass er andere Menschen herabgesetzt hat.

Aus Angst verfolgt
Das Beispiel von Jesus von Nazareth belegt das alles sehr deutlich. Die Menschen sind Jesus gefolgt und haben ihm vertraut. Seine Botschaft der Liebe fiel bei ihnen auf fruchtbaren Boden. Doch die damaligen weltlichen und kirchlichen Herrscher sahen dadurch ihre unterdrückerische Macht und ihren Einfluss in Gefahr. Jesus musste weg, koste es, was es wolle. Dazu bediente man sich des Verräters Judas. Mit dem berühmten Judaskuss gab er das Signal für die Verhaftung von Jesus. Dafür kassierte er seinen Judaslohn in Höhe von dreißig Silberlingen. Als Judas erfuhr, dass Jesus zum Tod verurteilt worden war, bereute er seine Tat. Er suchte Hilfe beim Hohen Rat, denen das aber gleichgültig war und er spürte schon da die Verachtung, die ihn künftig treffen würde. Deshalb warf er anschließend das Geld in den Tempel, lief fort und erhängte sich.

   

Am Karfreitag um 15 Uhr ist bei der Liturgie zum Leiden und Tod Jesu die Kreuzverehrung ein wichtiger Bestandteil.

   

Statt Kreuzung Vergiftung oder Arbeitslager
Auch heute erleiden Hoffnungsträger, Volkshelden, Oppositionelle, Künstler, Freiheitskämpfer, Journalisten und viele andere in totalitären Regimen auf der ganzen Welt ein ähnliches Schicksal. Sofern sie – angestiftet durch Mächtige - nicht gleich vergiftet werden oder auf irgendeine mystische Weise ums Leben kommen, landen sie viele Jahre im Gefängnis oder in Arbeitslagern. Diese heutigen Machthaber haben so viel Angst, wie die religiösen und weltlichen Führer und die damaligen Besatzer aus dem fernen Rom Angst hatten, als sich Jesus von Nazareth in seiner Heimat Israel mit seiner göttlichen Botschaft den Menschen zuwandte.

Jesus ist der König
Jesus hat damals Geduld gezeigt, in großer Souveränität jede Erniedrigung hingenommen und jeden Schmerz auf sich genommen, so berichten die Evangelisten. Er war Sohn Gottes und ihm war bewusst, dass er etwas Großes – das Größte – vollbringt, nämlich zu sterben, damit für die Menschheit eine neue Zeit anbrechen konnte. Die Dornenkrone hat er damit selbst zu einer wirklichen Krone umfunktioniert. Er wurde – und ist bis heute – in der Willensgemeinschaft mit Gott der König, der die Freiheit gebracht hat. Jesus ist Erlöser und König zugleich, von dem die Erlösung „vom Bösen“ erhofft wird, wie es am Schluss des „Vaterunser“ heißt. Vor 2000 Jahren ging es vor allem darum, sich vom totalen Anspruch der römischen Staatsmacht über die Menschen zu befreien. Heute kann „das Böse“ vor allem auch in der Macht der Märkte, dem Handel mit Menschen, mit Waffen und Drogen erkennen, das Menschen in Zwänge hineinreißt. „Das Böse“ kann heute aber auch darin bestehen, sich selbst zum Beherrscher aller Elemente zu erheben, auch wenn man die eigentliche Ohnmacht in sich spürt.

   

In der italienischen Stadt Pisa ist die „Dornenkirche“ zum Gedenken an die Verhöhnung und Verspottung von Jesus errichtet worden.

   

Zeichen werden ins Gegenteil verkehrt
Am Karfreitag wird am Beispiel von Jesus nicht nur die Krone in ihre gegenteilige Bedeutung verkehrt. Auch der Kuss, eine Nähe zueinander und das Händewaschen erleiden das gleiche Schicksal. Mit einem Kuss verrät Judas Ischariot seinen Herrn an die Soldaten und Gerichtsdiener der Hohenpriester und der Pharisäer. Ein Zeichen der Freundschaft und der Zuneigung wird zum Zeichen für Verrat und läutet den Weg zum Tod ein. Petrus, der, als alle anderen Jünger bereits geflohen sind, noch in der Nähe Jesu bleibt – eigentlich ein Zeichen der Verbundenheit – verleugnet ihn: Nein, diesen Menschen kenne ich nicht. Pilatus wäscht sich seine Hände und erklärt vor dem Volk seine Unschuld am Tod dieses Menschen. Ein symbolischer Akt, der für Reinheit und im übertragenen Sinn für Wahrheit steht, wird in sein Gegenteil verkehrt, denn er ist es, der das Urteil über Jesus fällt und damit einen Unschuldigen dem grausamen Kreuzestod ausliefert.

Gottes Sohn stirbt nicht als Held
Im Johannesevangelium heißt es in der Verurteilungsszene weiter: „Jesus kam heraus, er trug die Dornenkrone und den purpurroten Mantel. Pilatus sagte zu ihnen: Seht, da ist der Mensch“ (Joh 19,5). „Ecce homo“: Nicht als König, als Machthaber, nicht als Herrscher mit politischer Gewalt ausgestattet, sondern als das völlige Gegenteil, als würdeloser, entrechteter, völlig verlassener Mensch steht Jesus da. Mit der Dornenkrone und dem Purpurmantel, im Leiden und später vollends im Elend des Sterbens am Kreuz ist er zum Inbegriff des Menschen schlechthin geworden, er, von dem die Christen zugleich glauben, dass er der Sohn Gottes ist.

   

Der Künstlermönch Fra Angelico (1395-1455) hat Christus, umgeben von den Symbolen der Verspottung, mit Maria und dem hl. Dominikus besonders eindrucksvoll dargestellt.

   

Jesus steht an der Seite der Leidenden
„Der mit Dornen gekrönte Gottessohn, der in allem, was er ist und tut, ganz auf seinen Vater verweist, zeigt uns auch nicht einen Gott, der auf böses und falsches Denken und Tun der Menschen reagiert mit Sühneforderung, Strafe und Rache, sondern einen Gott, der durch den Tod seines Sohnes genau eine solche menschlich erdachte Ordnung durchbricht, der durch sein Leiden und Sterben den Menschen seine unverbrüchliche und niemals endende Treue und Liebe beweist“, schrieb jüngst Ursula Nothelle-Wildfeuer, eine Freiburger Professorin für Praktische Theologie. Aus dieser Perspektive heraus hält sie es für eine Ungeheuerlichkeit, wenn einige Leute heute ernsthaft darüber nachdenken, dass Corona eine Strafe Gottes in unserer Zeit sei. „Mit dem Ecce homo verstehen wir die Corona-Pandemie nicht, aber wissen einen mit-leidenden Gott an unserer Seite und besonders an der Seite all derer, die diesem Leid heute ausgesetzt sind“, schreibt sie weiter. Im Leiden wird Jesus zum Inbegriff des Menschen. Eines Menschen, der auch heute – und nicht nur am Karfreitag – der Erlösung von körperlichen, geistigen und geistlichen Leiden und Bedrängnis gleichermaßen bedarf.

   

Ein größerer Ausschnitt des Kreuzes aus der altbayerischen bäuerlichen Kunst.

   

   


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Text/Fotos/Repros: Fritz Wallner

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