Glück im Unglück an Weihnachten 1980

40. Jahrestag des Einsturzes der Schierlinger Kirchenmauer
   

Weihnachten wird von den allermeisten Menschen als ein Fest des Friedens und der Freude gewünscht und erlebt. Es kann auch eines der großen Sorge sein, wie sich gerade in diesem Jahr aufgrund der Pandemie herausstellt. Ein schreckliches Ereignis bewegte Schierling im Jahre 1980, als am ersten Weihnachtsfeiertag gegen 9.30 Uhr vormittags ein Teil der Kirchenmauer in Richtung Aumeier-Wirt abrutschte. „Glück im Unglück“, war die einhellige Meinung der Leute damals, denn niemand war unterwegs, die Wirtschaft war geschlossen und die erste Weihnachtsmesse schon vorbei.

   

Am ersten Weihnachtsfeiertag 1980 stürzte gegen 9.30 Uhr in Schierling ein Teil der Kirchenmauer ein.

   

Weil nicht klar war, wie tief das Fundament der Pfarrkirche war, und deren Einsturz nicht ausgeschlossen werden konnte, musste das Gotteshaus auf Anordnung des Landratsamtes für einige Tage ganz geschlossen werden. Bestürzung und Sorge machten sich in Schierling breit. Aber auch Dankbarkeit darüber, dass nichts passiert war.

Die Wirtin hatte das Malheur als erste entdeckt und gleich Pfarrer Bock informiert. Dieser hatte erst gut ein Jahr vorher in Schierling seine erste Pfarrstelle angetreten und stand vor einer ersten besonders großen Bewährungsprobe. Er ließ am Kirchberg sofort den ganzen Bereich um die Gefahrenstelle absperren und bat beim anschließenden Kindergottesdienst eindringlich, die Baustelle ja nicht zu betreten. Auch Ludwig Aumeier sperrte seinen Hof zu, ließ alles stehen und liegen wie es war, samt dem kaputten Viehanhänger und einer der Leuchten zum Anstrahlen der Kirche, die mit in die Tiefe gerutscht war.

Später stellte sich heraus, dass ein Riss in der Mauer schon früher beobachtet worden war, doch niemand die Notwendigkeit für ein sofortiges Handeln gesehen hatte. Auch deshalb nicht, weil Unklarheit über die Zuständigkeit herrschte. Die Abgrenzung zwischen dem Aumeier-Wirt und dem Kirchberg wird wohl ursprünglich aus einer Böschung bestanden haben. Wann diese Böschung zurückgesetzt und durch eine Bruchsteinmauer ersetzt wurde, konnte niemand mehr klären. Allerdings hatte ein Grundbucheintrag mit der Verpflichtung des Aumeier-Wirts zum Unterhalt der Mauer ein Hinweis dafür sein können, dass mit dem Bau der Mauer der Hof des Gastwirts vergrößert werden konnte.

Der 1980 abgestürzte Mauerteil aus Ziegel war erst 14 Jahre zuvor in die Bruchsteinmauer eingesetzt worden. Ob unfachmännische Ausführung oder Eindringen der Nässe von oben den Abrutsch verursachte, war ebenfalls nicht abschließend zu klären.

   

Wegen einer nicht auszuschließenden Einsturzgefahr der Pfarrkirche musste der Zugang gesperrt werden.

   

Die Aufregung und die Aktivitäten waren jedenfalls am Weihnachtsfest 1980 in Schierling sehr beachtlich. Unmittelbar nach den Feiertagen erfolgte unter Leitung des Landratsamtes als Sicherheitsbehörde die erste Untersuchung durch den Straubinger Statiker Joringer. Die größte Gefahr bestand für den hohen Westgiebel der Kirche, denn da hatte Joringer einen neuen statischen Riss entdeckt. Der sei zwar beim Status quo nicht besonders problematisch, doch sollte ein weiterer Teil der Mauer abrutschen, könnte auch der Kirchengiebel in Turbulenzen geraten und zum Einsturz kommen, so seine Einschätzung.

Um ganz sicher zu sein, ordnete er eine Untersuchung zur Tiefe des Fundaments der Pfarrkirche an. Das Landratsamt verfügte, dass bis zum Vorliegen eines Ergebnisses das gesamte Umfeld der Pfarrkirche gesperrt wurde. Der mächtige Kirchenaufgang wurde vom gemeindlichen Bauhof mit Brettern verbarrikadiert und von einem Mitarbeiter des Rathauses mit einem entsprechenden Hinweisschild versehen. Dem Aumeier-Wirt wurde auferlegt, sofort mit der Abstützung der verbliebenen Mauerreste zu beginnen.

Die weiteren Gottesdienste, insbesondere auch zum Jahresschluss, verlegte man kurzerhand in die nahegelegene Schulturnhalle. Die Mehrzweckhalle gab es damals noch nicht. Die Stimmung unter den Gottesdienstbesuchern war gedrückt, denn die Atmosphäre des angestammten vertrauten Gotteshauses war auf die Turnhalle nicht übertragbar.

Kirchenpfleger war damals der Mesner und Wagner Josef Konrad. Weil niemand sicher sagen konnte, dass das Fundament der Pfarrkirche die erforderliche Tiefe von zweieinhalb Meter hatte, wurde am Freitag, 2. Januar 1981, vereinbart, dies durch eine Prüfung an Ort und Stelle zu klären. Insgesamt 15 freiwillige Helfer waren schnell gefunden, die schon am nächsten Tag entlang der Pfarrkirche – per Hand mit Schaufeln – in die Tiefe vordrangen. Regen und orkanartiger Wind erschwerten das ehrenamtliche Engagement, denn immer wieder rutschte Erdreich nach.

   

15 freiwillige Helfer stellten bei Grabarbeiten am 3. Januar 1981 fest, dass das Fundament der Pfarrkirche ausreichend tief war.

   

Doch das Ergebnis der Stunden der Grabung war das denkbar Beste: Der Statiker bestätigte, dass das Fundament ausreicht, und so blieb es bei der Absperrung der unmittelbaren Abrutschstelle. Die Pfarrkirche konnte dagegen wieder für Gottesdienste geöffnet werden. „Großer Gemeinschaftsgeist in der Pfarrgemeinde kennzeichnete diese Tage ...“, war in der Tageszeitung zu lesen, für den der Pfarrer ganz besonders dankte.

Einig waren sich alle Beteiligten, dass der Aufbau der Mauer stabil und rasch erfolgen sollte. Architekt und Statiker wurden für die Planung beauftragt. Doch über die Kostentragung bestand Uneinigkeit. Die bischöfliche Finanzkammer wurde zu Rate gezogen. Die Verhandlungen zogen sich hin. Ludwig Aumeier versicherte, dass er die Kosten nicht alleine tragen könne, auch wenn er möglicherweise dazu verpflichtet sei. Schließlich verfügte das Landratsamt, dass sich die Pfarrkirchenstiftung um den Wiederaufbau kümmern muss – ohne, dass damit eine Aussage zur endgültigen Kostentragungspflicht verbunden war. Der staatlichen Stelle ging es um die rasche Wiederherstellung der gesamten Sicherheit.

Auch beim Markt Schierling wurde ein Zuschussantrag gestellt. Der Marktgemeinderat genehmigte aus „moralischen Erwägungen“ heraus eine zwölfprozentige Bezuschussung. Allerdings unter dem Vorbehalt der Rückerstattung, sofern Dritte zu einer Beteiligung an den Gesamtkosten herangezogen werden.

Die Bauarbeiten waren im Sommer 1982 im Wesentlichen abgeschlossen. Am 29. Juli 1982 war in der Allgemeinen Laberzeitung zu lesen, dass Pfarrer Bock beim Pfarrgemeinderat einen Überblick über die Baumaßnahmen insgesamt gab und betonte, dass die rechtliche Seite der Kostentragung noch immer nicht geklärt sei. Doch schließlich kam es mit Aumeier zu einer Einigung.

Bei dieser Sitzung hatte der Pfarrer noch eine Hiobsbotschaft: „Ein besorgtes Gesicht machten die Beteiligten allerdings, als sie Pfarrer Bock in Kenntnis setzte, dass auch die vordere Kirchenmauer zur Hauptstraße hin im Anschluss an den neuerbauten Mauerteil unbedingt erneuert werden muss.“ Diese Maßnahme war dann ab 1987 geplant und umgesetzt worden.

   

Pfarrer Hans Bock (links unten mit Blumenstrauß beim Empfang 1979 vor dem Rathaus) war gerade erst ein Jahr in der Verantwortung, als ein Teil der Kirchenmauer einstürzte.

   

Pfarrer Bock wirkte 27 Jahre lang – von 1979 bis 2006 – in Schierling und wollte sich eigentlich ganz der personalen Seelsorge und nicht so sehr den baulichen Angelegenheiten widmen. Doch daraus wurde nichts, denn alle Kirchen der Pfarrei, das Pfarrheim und schließlich noch ein weiterer Teil der Kirchenmauer mussten erneuert werden. „Das ging nur mit der ganz großen Solidarität und Hilfe der Pfarrei!“, hat er dazu immer wieder betont.

   


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Text und Fotos: Fritz Wallner

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